ZUGANG ZUR BILDUNG

Die Schule der Arbeit (1928–33) war die gelebte Antwort der Pädagogin Gertrud Hermes auf die Arbeiterbildungsfrage, der sie sich in Theorie und Praxis gewidmet hat: „Das Interesse haftet nicht an dem Aufstieg der Begabten; es dreht sich nicht um seine geistige Förderung als Einzelindividuum, sondern es bleibt gebunden an die geistige Not „des großen Haufens“. Die Erforschung dessen, was ist, wie dessen, was werden soll“.

1923 gründete Gertrud Hermes in Leipzig das erste Volkshochschulheim, als „Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ für junge Arbeiter, mit Kursen für die Dauer von 9–12 Monaten. Dafür wurde eine Wohnung von der Stadt in der Bornaischen Straße 108 in Connewitz angemietet. Es gab zwischen 1923 und 1933 in Leipzig insgesamt sechs dieser Volkshochschulheim genannten Wohngemeinschaften der Arbeiterbildung, darunter auch zwei „Mädelsheime“ für Arbeiterinnen.

1925 schreibt Gertrud Hermes in einem Konzept zur Schule der Arbeit: „von hoher pädagogischer Bedeutung ist auch der Bau eines eigenen Heimes. Die Schüler würden in einer Umgebung leben, frei von all den hässlichen Erzeugnissen einer minderwertigen Kultur, mit denen heute die allermeisten Wohnräume angefüllt sind, frei auch von aller Romantik, die sich von den Tatsachen des gegenwärtigen Lebens abwendet. Ausgestattet mit den Errungenschaften der neusten Technik, gestaltet aus dem Geist der Gemeinschaft, wird das Heim ihnen eine Stätte bieten, die allein durch ihr Dasein und die besondere Art ihrer Gestalt bildend auf das gesamte Empfinden ihrer Bewohner einwirken wird“.

1928 konnte unter Ihrer Leitung ein modernes Gebäude realisiert werden, das bis in alle Einzelheiten für das gemeinsame Leben und Lernen von jungen Arbeitern in kleiner Gemeinschaft geplant wurde. Das Volkshochschulheim befand sich im oberen Stockwerk der Schule der Arbeit. Um den hellen zentralen 64 qm großen Gemeinschaftsraum mit Oberlicht waren die Schülerzellen angeordnet, kleine 2-Mann-Zimmer mit Ober- und Unterbetten. Zusammen mit 12 jungen Männern lebten auf dieser Etage auch zwei Lehrer und zwei Hauswirtschafterinnen.
Für Verpflegung, Wohnen und Bildung zahlten die Arbeiter zwei Drittel ihres Lohnes. Nur das Gehalt des Lehrers wurde vom Volksbildungsamt übernommen. Die begehrten Plätze in diesen Wohngemeinschaften wurden jedes Jahr zur Bewerbung ausgeschrieben.

Die Arbeiter verließen gegen 6 Uhr morgens das Haus. Der eigentliche Unterricht fand in den Abendstunden statt. Drei Abende in der Woche waren für den Unterricht in gesellschaftlichen Fragen vorgesehen, ein Abend für künstlerische Tätigkeit, am Wochenende gab es gemeinsame Ausflüge, einmal im Jahr größere Exkursionen. Über Bekanntmachungen des Volksbildungsamtes in den Tageszeitungen wurden auch Gäste und ehemalige Schüler zu offenen thematischen Abenden in die Schule der Arbeit eingeladen.

Die untere Etage der Schule der Arbeit mit dem Saal für 120 Personen, zwei Klassenzimmern und Bibliothek wurde vom Volksbildungsamt für regelmäßige Kurse der Arbeiterbildung und für Veranstaltungen angemietet.

Ute Richter, 2022

Arbeiterbildung unter erschwerten Bedingungen durch hohe Arbeitslosigkeit

Das Heim Stieglitzstraße unter Leitung von Frau Gertrud Hermes und dem Lehrer Otto Calvi führte zunächst einen Heimkurs der gewohnten Art, der im Frühjahr 1931 begonnen hatte, zu Ende. Auf Wunsch der Schüler wurde er über die ursprünglich vereinbarte Zeit von 12 Monaten bis Mai 1932 verlängert. Das Heim eröffnete dann im Juni dieses Jahres zum ersten Male einen Arbeitslosenkurs. Er dauerte 4 Monate. Als Tageskurs bot er mannigfaltige pädagogische Möglichkeiten. Der Tag begann mit Turnübungen auf der Wiese. Der Unterricht fand in den Morgenstunden statt; dann folgten zwei Stunden Haus- und Gartenarbeit. Am Nachmittag waren feste Lernzeiten angesetzt. Der Abend blieb frei und diente vielfach der Arbeit in den Organisationen. Die materiellen Ansprüche mußten auf ein Mindestmaß herabgedrückt werden. Eine Wirtschafterin für dieses Burschenheim konnte nicht mehr bezahlt werden. Das Kernstück des Kurses bildete eine sechswöchentliche Studienreise nach Pommern. Die Teilnehmer fuhren mit dem Rad von Leipzig bis zum polnischen Korridor und zurück. Dank der tatkräftigen Hilfe der pommerschen Landwirtschaftskammer konnten die Schüler eine große Anzahl Güter und Siedlungen besichtigen. Sie lernten die verschiedenartigsten landwirtschaftlichen Betriebe aus eigener Anschauung kennen. Die Ergebnisse der Fahrt wurden im volkswirtschaftlichen Unterricht eingehend bearbeitet.

Auszug aus: Die Leipziger Volkshochschulheime 1932, Publikation des Volksbildungsamtes Leipzig

Beschlagnahme und Zwangsverwaltung 1933

„Aufgrund der Verordnung zum Schutz für Volk und Staat wird die „Schule der Arbeit“ aufgelöst. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit wird das Vermögen des Vereins beschlagnahmt und unter polizeiliche Zwangsverwaltung gestellt.“
(Und das Gebäude kurz darauf der Fliegerortsgruppe des Deutschen Luftsportverbandes und der NSDAP Ortsgruppe Leipzig „zu günstigen Bedingungen“ zur Nutzung überlassen.)

„Aufgrund des Gesetzes über die Einbeziehung kommunistischen Vermögens in Verbindung mit dem Gesetz über die Einbeziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens werden Sachen und Rechte der ehemaligen Schule der Arbeit zu Gunsten des Landes Sachsen, vertreten durch den Staatsminister des Innern eingezogen. Gemäß des Gesetztes erlöschen die an dem eingezogenen Gut bestehenden Rechte.“

Da 1.000 Mark Steuern rückständig sind, wird das Erbbaurecht am 8. April 1936 um 9 Uhr zur Versteigerung freigegeben. Bei der Zwangsversteigerung des Erbbaurechtes ist die Stadt Leipzig meistbietend geblieben, daher wird das Grundstück der Stadt Leipzig durch die Zahlung von 19.300 Mark zugeschlagen.

Ute Richter, Textauswahl und Zusammenfassung, 2022

Der Plan einer Schule der Arbeit in Leipzig

Die angestrebte Form ist eine Bildungseinrichtung in weitestem Sinne, nicht nur Unterrichtsanstalt, sondern auch kulturpolitisches Institut. Deren Zweck es ist, jungen Arbeitern zu einer geschlossenen Bildung zu verhelfen. Die Schüler sind in erster Linie junge gelernte männliche Arbeiter zwischen 17 und 24 Jahren. Die Leitung entscheidet über die Aufnahme. Ausnahmen nach Alter und Lebensgang sind zulässig. Die Besuchsdauer beträgt in der Regel 1 Jahr.

Das pädagogische Ziel der Schule der Arbeit ist die allgemeine Wesensbildung, nicht Berufsbildung. Aber diese allgemeine Wesensbildung soll nicht ohne Beziehung zum Arbeitsleben der Arbeiters sein; sie soll es vielmehr durchdringen und von ihm durchdrungen werden. Im Gegensatz zu den bestehenden Arbeiterbildungsanstalten, die den Arbeiter viel zu sehr von der Ebene des Intellektuellen aus bilden, soll hier alle Bildungsarbeit aus dem Arbeitsleben entwickelt werden. Wir wollen den Arbeiter nicht herausziehen aus der Fabrik, sondern zu ihm hineingehen in die Fabrik. Wir wollen ihn auch nicht von der Masse lösen, sondern die Befähigten zu Kraftpunkten innerhalb der Masse machen.

Von hoher pädagogischer Bedeutung ist auch der Bau eines eigenen Heimes. Die Schüler würden in einer Umgebung leben, frei von all den hässlichen Erzeugnissen einer minderwertigen Kultur, mit denen heute die allermeisten Wohnräume angefüllt sind, frei auch von aller Romantik, die sich von den Tatsachen des gegenwärtigen Lebens abwendet. Ausgestattet mit den Errungenschaften der neusten Technik, gestaltet aus dem Geist der Gemeinschaft, wird das Heim ihnen eine Stätte bieten, die allein durch ihr Dasein und die besondere Art ihrer Gestalt bildend auf das gesamte Empfinden ihrer Bewohner einwirken wird.

Das Heim bildet den Kern der ganzen Anstalt. Es umfasst 12 Arbeiter, 2 Lehrer und 2 Hausangestellte. Die Schule der Arbeit ist die gradlinige Fortsetzung der intensiven Arbeiterbildungsbestrebungen, die in Leipzig seit 3 Jahren unter der Leitung des städtischen Volksbildungsamtes in Angriff genommen worden sind. In Mietwohnungen von mittlerer Größe (4–6 Zimmer) wurden kleine Kreise von Arbeitern gesammelt (7–12), die sich für die Dauer eines Jahres mit 1–2 Geistesarbeitern zu einer Wohn-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zusammenfanden. Die Gemeinschaft trägt die Kosten ihres Unterhalts selbst, da alle Arbeiter im Beruf blieben; nur die Lehrer werden überwiegend vom Volksbildungsamt angestellt. An den Abenden, die zu geistigem Austausch zur Verfügung stehen, wird 3 mal wöchentlich Unterricht nach bestimmten vorher vereinbarten Lehrplan betrieben. Die Verwaltung der Heime beruht auf freier Selbstbestimmung.
Im Laufe dieser 3 Jahre sind 5 solche Heime (3 Burschen- und 2 Mädelsheime) entstanden, sodass jetzt alljährlich ca. 40 junge Arbeiter und Arbeiterinnen, auch einige Angestellte pflegen dabei zu sein, diese intensive Durchbildung geniessen.
Das sechste Heim, der neue Versuch einer Schule der Arbeit, die spätestens zum April nächsten Jahres eröffnet werden soll, bedeutet eine weitere Intensivierung der Bildungsarbeit. Auch hier können Nicht-Leipziger aufgenommen werden, sobald sie in Leipzig Arbeit finden.

Auszüge aus einer „Denkschrift“ von Gertrud Hermes, 1925
Akten des Volksbildungsamtes Leipzig
Auswahl und Zusammenfassung, Ute Richter, 2022

Die Eröffnung der Schule der Arbeit im Oktober 1928

Leipziger Volkszeitung, 1. September 1928
Vom Volksbildungsamt wird mitgeteilt: In dem Neubau „Schule der Arbeit“ wird im Herbst dieses Jahres das Connewitzer Volkshochschulheim neu eröffnet. Unmittelbar am Walde gelegen und doch nur 10 Minuten vom Zentrum der Stadt entfernt, bieten die schön ausgestatteten sonnigen Räume eine ungewöhnlich günstige Stätte. Es können zwölf Burschen im Alter von 18 bis 24 Jahren aufgenommen werden. Der Unterricht erstreckt sich auf die gesellschaftswissenschaftlichen Fragen, die für den Arbeiter wichtig sind. Der Lehrgang dauert neun bis zehn Monate. Ein Abend pflegt freier künstlerischer Handarbeit gewidmet zu sein. Für Wohnen, Verpflegung und Unterricht wird nach freier Vereinbarung ein bestimmter Prozentsatz des Lohnes einbezahlt. Er betrug bisher meist zwei Drittel des Lohnes.
Meldungen am besten mündlich abends bei der Leiterin Frau Gertrud Hermes, Leipzig, Bornaische Straße 108, nach vorheriger telephonischer Anfrage.

Neue Leipziger Zeitung, 4. Oktober 1928
Volkshochschulheim Stieglitzstraße. Vom Volksbildungsamt wird mitgeteilt: Das Volkshochschulheim von Frau Gertrud Hermes hält am 13. Oktober seine Eröffnungsfeier in den neuen Räumen des Heimes, Leipzig Schleußig, Stieglitzstraße 24 ab.

Leipziger Volkszeitung, 15. Oktober 1928
Die Eröffnung der Schule der Arbeit des neuen Volkshochschulheimes in Schleußig, die am Sonnabend erfolgte, war mit der 5. Konferenz der Lehrer an Arbeiterbildungsanstalten (vom 12. bis 14. Oktober 1928) verbunden.

Überfall auf die Schule der Arbeit im März 1933

Leipzig, den 17. März 1933
An Herrn Oberbürgermeister Dr. Goerdeler

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister!
Die Unterzeichnete gestattet sich Ihnen folgende Vorgänge mitzuteilen. Am gestrigen Abend etwa 8 Uhr wurde das Haus Schule der Arbeit plötzlich von 2 Seiten überfallen. Ein Trupp drang vom Wald her in den Garten, ein anderer forderte an der Haustür Einlass. Sie vermochten keinerlei Ausweis beizubringen. Als ihnen der Einlass verweigert wurde, stürmten sie über die Mauern, schlugen die Eingangstüren des Hauses kurz und klein, zertrümmerten Fenster und versuchten dann in das im oberen Stock gelegene Volkshochschulheim unter wüsten Beschimpfungen mit Gewalt einzudringen. Die stark befestigten Eingangstüren des oberen Stockwerkes leisteten Widerstand, bis die von uns herbeigerufene Polizei das Haus besetzte. Die Namen einer Anzahl Beteiligter wurden polizeilich festgestellt.
Irgend eine Provokation zu diesem Vorgehen ist unsererseits nicht erfolgt, weder im Augenblick noch in den vorhergehenden Monaten. Auch während des Überfalls wahrten unsere Heimschüler eiserne Disziplin und beschränkten sich auf passiven Widerstand. Sie machten von der Möglichkeit, die Angreifer von oben mit allen Gegenständen des Hauses zu bombardieren, meiner Weisung folgend, keinen Gebrauch. Die Angreifer wurden dann von einem Führer der Hitlerjugend im unteren Saal des Hauses gesammelt und verließen unter seiner Führung das Haus. In unserem Haus wurden keinerlei Waffen gefunden, die Polizei nahm lediglich den Schläger eines Gongs an sich.

Am selben Tag vormittags wurde unser Volkshochschulheim Dessauer Strasse plötzlich ohne jeden Anlass geschlossen. So ist von 2 Seiten her meine Bildungsarbeit, die eine im ernsten Sinne staatserhaltende war, lahm gelegt. Welche psychologischen Wirkungen diese Vorgänge auf junge Arbeiter ausüben, die in straffer geistiger Arbeit bestrebt sind, die Ereignisse der Zeit zu verstehen, darf ich Ihrem Urteil, sehr verehrter Herr Oberbürgermeister, überlassen.

In vorzüglichster Ergebenheit
Gertrud Hermes
Vorsitzende des Vereins Leipziger Volkshochschulheime
Stieglitzstraße 24

Neuzeitliche Baukunst, Leipzig ist arm an Bauten im modernen Stil

… Man sagt der neue Baustil, soweit man von ihm überhaupt schon reden kann sei nüchtern, ja unschön: noch so verbildet durch das kitschig Unzweckmäßige ist der Geschmack und so ungeschult ist das Auge. Sollte unsere Epoche dermaßen gedankenarm sein, daß Baukunst nicht neue, zeit- und zweckentsprechende Ausdrucksformen hervorbringen könnte? Unsere Abbildungen beweisen, daß dem zum Glück nicht so ist. In Leipzig und Umgebung muß man allerdings vorläufig noch nach Zweckbauten im modernen Stile suchen. Nur ganz sporadisch sind sie meist privater Initiative zu verdanken. …

In der Stieglitzstraße in Schleußig erhebt sich seit einiger Zeit ein weißes Gebäude, dessen Gestaltung starke Verwandtschaft mit dem Bauhausstil aufweist. Es ist der Neubau der Schule der Arbeit, die dem Leipziger Volksbildungsamt angegliedert ist. Seine Ausführung wurde dem Architekten Professor Niemeyer aus Halle anvertraut. Ein Rundgang durch das Haus läßt die Verwandtschaft der Ideen des Erbauers mit den Bestrebungen des Dessauer Bauhauses deutlich hervortreten. Im Erdgeschoß liegen die Unterrichtsräume, ein großer stilvoller Versammlungsraum – 120 Personen fassend – und die Bibliothek. Die Mitte des Obergeschosses nimmt der durch Oberlicht erhellte allgemeine Wohnraum ein. Von drei Seiten wird er von den Schlafkabinen umgeben, die der Platzersparnis halber mit Unter- und Oberbetten versehen sind. Eingebaute Schränke, große Fenster, Zentralheizung, fließendes heißes Wasser vervollständigen die neuzeitliche, alles Überflüssige vermeidende Ausstattung. Auf dem flachen Dach soll ein Sonnenbad eingerichtet werden. 100 000 Mark Baukosten sind entstanden.

Die Schule der Arbeit in Schleußig
Schöpfung von Taut in Gautzsch
Siedlungshaus in Großstädteln
Neues Umformwerk am Yorkplatz
Wohn- und Arbeitshaus Gohlis

Ein Überblick über neuzeitliche Baukunst in Leipzig zeigt bei einem Vergleich mit anderen Städten, daß Leipzig auf diesem Gebiete moderner Gestaltung zurücksteht. Städte wie Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart, Düsseldorf, Hannover, und vor allem Frankfurt am Main, aber auch kleinere Gemeinwesen wie Dessau, bieten heute bereits eine Fülle moderner Architektur, die in unserer Stadt nur ganz vereinzelt anzutreffen ist. …

Neue Leipziger Zeitung, Freitag 23. November 1928, Seite 3

Die Schule der Arbeit, Ihre Aufgaben und ihre Ziele

Am 1. Oktober vorigen Jahres wurde das neuste Heim der Leipziger Volkshochschule, Leipzig Schleußig, Stieglitzstraße 24, eröffnet unter der Bezeichnung einer „Schule der Arbeit“. Da der Fernstehende sich unter diesem Titel nichts bestimmtes vorzustellen vermag, möchten wir zu unseren Bildern eine kurze Schilderung geben.
Die Leipziger Volkshochschule vermittelt bekanntlich Kenntnisse aus den verschiedensten Gebieten der Wissenschaft und Kultur durch Einzelveranstaltungen, Vortragsreihen und Arbeitsgemeinschaften. Die höchste Lehrform jedoch stellen die Lebensgemeinschaften auf die Dauer von einigen Monaten dar, die in den Heimen der Volkshochschule jungen Menschenkindern Gelegenheit geben, unter berufener Leitung nicht nur ernstes Wissen zu erarbeiten, sondern auch zu vorbildlichem Gemeinschaftsleben zu erziehen.
Die „Schule der Arbeit“ stellt den neuzeitlichen Typus des Volkshochschulheimes dar. Schon das Äußere des landhausartigen Baues zeigt die Formen strenger Sachlichkeit, die selbstverständlich auch im Inneren verwirklicht sind. Im Heim sind bis zu 17 männliche Jugendliche zu einer Lebensgemeinschaft von 10 Monaten zusammengeschlossen. Sie gehen tagsüber ihrer Arbeit nach und vereinigen sich an drei Abenden der Woche zu geistiger Fortbildung auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Die übrigen Abende sind der persönlichen Arbeit und der Gemeinschaftspflege vorbehalten. Die jungen Leute geben zwei Drittel ihres Lohns für den Lebensunterhalt an das Heim ab. Außerdem wird die Schule durch eine staatliche Beihilfe unterstützt.
Das Heim steht unter der Leitung von Frau Gertrud Hermes, die schon 1922 aus persönlichen Mitteln in ihrer Wohnung in Connewitz ein solches Volkshochschulheim geschaffen hatte, und nun nach erfolgreicher Arbeit mit ihrem Schülerkreis in das neue Heim eingezogen ist. Es wird interessieren, daß Leipzig noch drei weitere Volkshochschulheime, allerdings bedeutend einfachere, besitzt und zwar: Für 15 Heimschüler an der Dessauer Straße, für sieben Schüler an der Stöckelstraße und für junge Mädchen Hohe Straße 36 (über das letztgenannte Heim berichten wir bei Gelegenheit).
In der „Schule der Arbeit“ bewohnt also die Studiengemeinschaft der jungen Männer das erste Stockwerk des Gebäudes, wo die schlichten, sachlich und doch schön eingerichteten Wohn- und Schlafzimmer der Heiminsassen um einen Tages- und Arbeitsraum mit einem großen Tisch geordnet sind, wo die Zimmer der Leiterin Frau Hermes, wo auch die Küchen-, Wasch-, und Baderäume liegen. Vom Wirtschaftsbetrieb ist jedoch nichts zu sehen. Alle Türen sind so in die Wandverkleidung eingelassen, daß sie fast unsichtbar sind, und der erwähnte in der Mitte gelegene Tagesraum als absolut abgeschlossenes, durch keine Tür beunruhigtes Zimmer wirkt. Alle, auch die Wirtschaftsräume sind sachlich, technisch vorbildlich und künstlerisch gut eingerichtet.
Das Erdgeschoß ist vom Volksbildungsamt Leipzig gemietet für Veranstaltungen der Volkshochschule und zur Unterbringung der Schule der Wirtschaft und Verwaltung. Da befindet sich der große, saalartige Gemeinschaftsraum für Vorträge und Veranstaltungen größerer Art. Seine Einteilung gestattet die Abgrenzung gemütlicher Plätze für kleine Gruppen. Der große Raum wird durch gut verteilte Beleuchtung gleichmäßig erhellt und hat durch eine hohe, bis zum Boden verglaste Tür unmittelbaren Zugang zum Garten.
Weiterhin enthält das Erdgeschoß zwei kleine Versammlungsräume, die Bibliothek und drei kleinere Arbeitszimmer. Überall berührt die wohltuende Schlichtheit angenehm und zeugt von dem auf geistiges Streben eingestellten Zweck des Hauses.
… Es ist zu wünschen, die Leipziger Volkshochschularbeit möge auf allen Gebieten eine so tatkräftige Förderung erfahren, wie sie in der „Schule der Arbeit“ zu spüren ist.

Leipziger Hausfrau, 1929, Seite VI

Zentralblatt der Bauverwaltung, Berlin, den 9. Januar 1929, Jahrgang 49 Nummer 2
S.17–21 Volkshochschulheim in Leipzig-Schleußig
Architekt: Professor Johannes Niemeyer, Halle a.d. Saale

Das Volkshochschulheim wurde für den eingetragenen Verein „Schule der Arbeit“ im Sommer 1928 an der Stieglitzstraße in Leipzig Schleußig errichtet. Das Bauprogramm war wesentlich durch folgende Forderungen bestimmt: Im Untergeschoß eine Hausmannswohnung. Im Erdgeschoß ein saalartiger Raum mit direktem Zugang zum Garten, benutzbar für Feste, Versammlungen, Vorträge, Gymnastik und dergleichen. Dazu zwei kleinere Klassen für je 20 Schüler, eine kleine Bücherei mit Sitzungszimmer. Benutzt wird dieses Geschoß in erster Linie von außerhalb des Heimes Wohnenden. Im Obergeschoß das eigentliche Heim für 12 Schüler, einen Lehrer, die Heimleiterin und zwei weibliche Hausangestellte, dazu Küche, Bad usw.

Die freie Lage des Bauplatzes am Rande einer Siedlung direkt am Auenwald brachte für die äußere Form keine wesentlichen Beschränkungen. Nachbarbauten stehen erst in einiger Entfernung. Aus der Situation im Überschwemmungsgebiet der Elster und Luppe ergab sich eine sehr hohe Lage des Sammelkanals der Entwässerung. Dadurch wurde es notwendig, den Bau höher aus der Erde herauszuheben, als an sich erforderlich gewesen wäre. Für den Garten wurde im Gegensatz zu den meisten Nachbargrundstücken die Tieflage beibehalten und durch eine 2 m hohe Abschlußmauer an der Straße noch betont. Statt des üblichen Vorgartens wurde der durch die Bauordnung vorgeschriebene Abstand des Hauses von der Straße zu einem Vorplatz ausgebildet, über den der Zugang zum Heim erfolgt. Die Absicht, ihn als Teil des Bürgersteiges zu behandeln und dementsprechend zu pflastern, konnte leider nicht durchgesetzt werden. Der Einfachheit des Baukörpers und der erhofften starken Benutzung entsprechend wurde der Garten in nur wenige größere Flächen aufgeteilt. Ein kleiner Maßstab wurde nur bei der Ausgestaltung der hinter dem Hause liegenden ehemaligen Deichböschung angewandt: Sitzstufen im Viertelkreis um eine gestutzte Linde und ein kleines, aber regelmäßiges Alpinum.

Die Baupolizei forderte, daß der Fußboden der Hausmannswohnung einen halben Meter über dem Gartengelände liegen sollte. Daher ist dieser Teil des Untergeschosses gegen den übrigen Keller erhöht. Infolge der größeren lichten Höhe bedingte er eine Hebung des Fußbodens der Bücherei. Das war durchaus erwünscht, weil diese Räume wegen ihrer Kleinheit nicht die Höhe des übrigen Erdgeschosses vertrugen. Die Verschiebung hatte zwar die Wirkung, daß die Außenwände eine unruhige Teilung erhielten, sie bot dafür aber die Möglichkeit einer fröhlichen Raumbehandlung des Saales: das Innenfenster zur Bücherei und das Treppchen mit dem Rednerpult zeugen davon.
Für die Hausmannswohnung konnte von der Polizei die Genehmigung zum Bezuge trotz einwandfreier hygienischer Verhältnisse nicht erwirkt werden. Sie muß daher jetzt anderen Zwecken dienen. Daneben liegt ein geräumiges Gartenzimmer, für feuchtkalte Tage ebenso geeignet wie für heiße. Anschließend folgt der Heizraum für die Warmwasserheizung nebst Kohlenbunker; dieser wird von der Straße aus beschickt. Der Vorraum der Geschoßtreppe ist als Fahrradraum ausgebildet. Während der Bauzeit wurde er als Kleiderablage für den Saal ausgebaut, was einen besonderen Abschluß des Untergeschosses entbehrlich machte. Unterstützt durch entsprechend lichte Farbgebung ist es gelungen, im Empfangsraum des Erdgeschosses trotz der geringen Breite des Treppenhauses von 3 m eine durchaus freie Wirkung zu erzielen. Wesentlich verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, daß der Windfang vollkommen schwarz gestrichen wurde.
Für den Saal war die Balkenkonstruktion der Eisenbetondecke maßgebend. Die beiden Pfeiler, welche aus konstruktiven Gründen notwendig waren, sind nebst dem zugehörigen Deckenbalken ziegelrot gestrichen, während die übrige Decke weiß blieb. Da die Wände einen Beigeton erhielten, üben sie im Verein mit der großen Fensterwand eine beherrschende Wirkung aus. Auf einen Flur wurde zugunsten der übrigen Räume verzichtet. Die eine Klasse und die Bücherei sind notfalls durch Zwischentüren zu erreichen. An die Straßenseite wurden wegen des Lärms keine Fenster gelegt. Die Ruhe der Außenwand wirkt im Straßenbild wohltuend.

Vom obersten Treppenabsatz aus gelangt man zunächst zu den Bade- und Wirtschaftsräumen. Dieser Trakt wurde an die Straßenseite gelegt, um die ruhigen Gartenseiten für die Schlaf- und Arbeitszellen zur Verfügung zu haben. Von der Treppe aus gelangt man durch eine andere Tür in den quadratischen Oberlichtraum, der etwa dem römischen Impluvium entspricht. Hier spielt sich das „Familienleben“ ab mit seinen Mahlzeiten, Vorträgen, Besuchen, und dem übrigen Drum und Dran. Rings herum führen Türen zu den Schüler- und Lehrerzellen. Die weiblichen Hausangestellten haben ihre Zimmer hinter der „Barrikade“ der Wirtschaftsräume. Die Zellen sind so eingerichtet, daß sich je zwei Schüler einen Raum teilen. Das geschah auf Grund einer Umfrage bei den Betroffenen; diese ziehen die Doppelzelle der Einzelzelle vor. Zugunsten des Gemeinschaftsraumes wurden sie nur klein gehalten. Die Betten wurden nicht neben-, sondern übereinander angeordnet, so daß für jedes Bett eine lichte Höhe von 1,40 m entstand. Das wird als durchaus genügend empfunden. Allerdings gehören die übereinander befindlichen Betten verschiedenen Zellen an, so daß eine gegenseitige Belästigung der betreffenden Bewohnen vermieden wird. Das Fenster füllt die ganze Breite der Außenwand. Davor steht ein gemeinsamer Tisch, geteilt durch einen kleinen Aufsatz für Bücher. Diese Trennung ermöglicht bei gleichzeitiger Arbeit die nötige Konzentration. Ein kleiner Heizkörper an jedem der beiden Arbeitsplätze sorgt für genügend Erwärmung. Die Wand zum Gemeinschaftsraum wird aus Schränken gebildet, von denen je zwei zu den Zellen gehören. Die Waschgelegenheit ist im Baderaum untergebracht, wo jeder männliche Insasse ein besonderes Becken hat. Für die weiblichen Bewohner ist ein eigener Bade- und Waschraum abgetrennt. In der Küche befindet sich nur ein kleiner Gasherd, ein Warmwasserbereitungsapparat, ein Abwaschbecken und ein Müllschlucker in der Außenwand, mit direkter Abholung von der Straße her. Dadurch ist Raum für einen großen Klapptisch gewonnen, an dem die Schüler einen Teil ihrer Mahlzeiten einnehmen.
Es war ursprünglich geplant, das flache Dach als Sonnenbad auszubilden. Ersparnisgründe während der Bauzeit zwangen jedoch davon Abstand zu nehmen. Die Brüstung sollte in vollem Eisenblech ausgeführt werden.
Bei der Grundrißgestaltung ist einer rhythmisch guten Raumabfolge besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden. Sie ist aufgebaut auf den Gegensätzen von Raumgrößen, -höhen und -richtungen, unterstützt durch geeignete Lichtführung und sinnvolle Farbgebung. Diese ist überall fröhlich. Lauten Klängen ist kein Raum gegeben. Infolge dessen atmet der ganze Bau eine stille Heiterkeit, welche auf Insassen eine wohltuende Wirkung ausübt. Diesem inneren Rhythmus mußte die äußere Erscheinung manches Opfer bringen. Doch ging dies nicht so weit, daß nicht auch außen auf eine gewisse Ordnung gesehen wurde. Eine Gewähr von vornherein bot hier die streng kubische Erscheinung, die nur über dem Hauptgesims durch die „Laterne“ und die Schornsteine eine Lockerung erfuhr.
Zum Schluß mögen einige technische Angaben folgen. Die Baukosten betragen einschließlich der eingebauten Schränke und aller übrigen Nebenkosten (Aufschließungskosten, Gartenanlage, Einfriedung, Architektenhonorar, Bauführung) etwa 38 RM für 1 cbm umbauten Raumes.
Ausgeführt ist der Bau in Ziegelmauerwerk, mit Hohlschicht in den Außenwänden, die wegen der Wärmehaltung mit Torfmull ausgestampft wurden. Dieses Verfahren hat der Verfasser auch sonst mit Erfolg angewandt. Treppen, Stürze und Decken sind aus Eisenbeton. Die Decken liegen zwischen Pappschichten, was eine zufriedenstellende Schallisolierung zur Folge hat. Nur die Wände zwischen den Zellen der Heimleiterin und den Schülerzellen sind mit einer 4 cm starken Korkplattenschicht gegen Schall besonders gedichtet. Die „Repal“-Stahlfenster sind von der Firma Reinhold Patzschke in Leipzig zu einem Preis geliefert, der nur wenig über dem für gewöhnliche Holzrahmenfenster liegt. Verglast sind sie mit dem üblichen Fensterglas. Nur das Treppenhaus, die Aborte und das Bad sind mit halbdurchsichtigem Mattglas versehen. Hierdurch sind Vorhänge erspart und ist zerstreutes Licht erzielt. In einigen Räumen wurde ein Versuch mit Ultravitglas gemacht. Aus Ersparnisgründen mußten einfache Fenster verwandt werden. Auf Fensterbretter konnte verzichtet werden. Die Brüstungen wurden mit Zementmörtel verputzt und mit einer Sammelrinne für Schwitzwasser versehen. Die Fußböden sind meist mit Linoleum auf einer Schicht von Korkestrich belegt. Die Granitmuster sind auch bei starker Benutzung immer ansehnlich, während der Estrich stark schallhemmend wirkt. Im Vestibül wurden wegen der besonders starken Beanspruchung Solnhofer Platten verwandt. Die Klassen wurden aus Sparsamkeit mit deutscher Kiefer gedielt. Dagegen wurden für den Saal Xylolithplatten in drei Farben verwandt. Im Bau befinden sich durchgehend patentierte Sperrholztüren in schmaler Stahlzarge. Auch die andere Kante des Türlichten ist durch einen solchen Rahmen geschützt, während die Mauerleibung verputzt ist. Das Dach, begehbar ausgeführt, weist ein Gefälle von 1:50 auf. Die Dachrinne, gleichfalls im Gefälle 1:50, ist in den Dachüberstand eingearbeitet, dadurch ist jede Möglichkeit ausgeschaltet, daß Fehler in der Rinne zum Eindringen von Wasser in Decke oder aufgehendes Mauerwerk führen. Der Dachüberstand bringt den weiteren Vorteil mit sich, daß Schmutzfahnen ausgeschlossen sind, die an den Außenwänden der meisten kubisch gestalteten Bauten entstehen. Der Schlagregen kann auch nicht in das Mauerwerk eindringen. Trotzdem ist sogenannter Edelputz wegen seiner wetterbeständigen Eigenschaften verwandt. Der Dachüberstand hält zudem die sengenden Strahlen mittäglicher Sommerglut von Fenstern und Mauern ab. Die Farbe des Putzes ist weiß, die Fenster dunkelblau. Die Abfallrohre aus Zink und die Klinkerteile sprechen die Sprache ihres Materials. Es resultiert eine strahlende Wirkung, welche vorteilhaft von dem freudlosen Aussehen gleichzeitig errichteter Nachbarbauten absticht.

GERTRUD oder Die Differenz, 2023

Nach Archivrecherchen der Künstlerin Ute Richter zur Schule der Arbeit in Leipzig entstand in Zusammenarbeit mit Luise Ritter und Franka Sachse der Film „GERTRUD oder Die Differenz“. Es ist eine künstlerische Aneignung vergessener Geschichte, mit aktuellem Blick.
Die Schule der Arbeit (1928–33) war ein Modellprojekt der Leipziger Arbeiterbildung unter Leitung von Gertrud Hermes. Mit dem Neubau des Architekten Johannes Niemeyer in der Stieglitzstraße entstand 1928 ein moderner Ort, der für das gemeinsame Leben und Lernen junger Arbeiter geplant wurde.
Im Leipziger Stadtarchiv sind die Akten von der Planung bis zur Schließung der Schule der Arbeit und Texte der Pädagogin Gertrud Hermes überliefert. Von der Einweihung im Oktober 1928 bis zum Überfall durch die SA im Frühjahr 1933 und der anschließenden Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten wird der Verlauf der Geschichte schmerzhaft deutlich.
Ute Richter, Bildende Künstlerin

GERTRUD oder Die Differenz, Film von Ute Richter mit Archivmaterial, Handzeichnungen, animierter Zeichnung und Sprecherin, 75 min. In Kooperation mit Luise Ritter (animierte Zeichnung), Franka Sachse (Postproduktion), Hannes Drißner (Grafik), Ipke Starke (Ton), Verena Noll (Sprecherin).

Förderungen
Film und Recherche zur Schule der Arbeit (1928–33) wurden gefördert durch den Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Programms NEUSTART KULTUR, die Akademie der Künste Berlin und die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.